Habt ihr schonmal von dem verschwindenden Stadtteil mitten in Deutschland gehört? In dem einmal knapp 14.000 Menschen gelebt haben und heute nur noch knapp 2000? Es geht um den Stadtteil Suhl-Nord der Tühringer Stadt Suhl. Erst in den 80er entstanden und bereits 40 Jahre später wieder abgerissen.

Entstehung: Die Plattenbauoffensive der DDR

Am Südwestrand des Thüringer Waldes, auf dem sogenannten Ziegenberg, entstand in den späten 1970er-Jahren Suhl‑Nord – ein ambitioniertes Wohnprojekt der DDR. Zwischen 1975 und 1978 plante man ein modernes Plattenbaugebiet, das rasch wachsen sollte. Mittels der Wohnungsbauserie WBS 70 wurden in nur etwa zehn Jahren mehr als 5 600 Wohnungen realisiert – in Hochhäusern mit fünf, sechs oder elf Stockwerken.

Als Teil einer Vorzeigestadt wurde Suhl zu jener Zeit großen Zuwachs erfahren: In den 1960ern lag die Einwohnerzahl bei ca. 25 000, in den 1980ern war sie auf knapp 60 000 angewachsen. Suhl‑Nord nahm davon bis zu 14 000 Menschen auf – ein dichtes und pulsierendes Zentrum mit Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitangeboten, Ärzten und öffentlichen Verkehrsverbindungen.


Höhepunkt und lebendige Gemeinschaft

In den 1980ern lebte Suhl‑Nord in voller Entfaltung: Kinder spielten in den Innenhöfen, Nachbarschaften organisierten Feste, und die Infrastruktur war in vollem Betrieb. Für viele war Suhl‑Nord mehr als nur ein Wohngebiet – es war Heimat.


Der Wandel: Abrupt und tiefgreifend nach der Wende

Mit dem Fall der Mauer begann der Niedergang. Viele volkseigene Betriebe schlossen, insbesondere das Kombinat VEB Elektrogerätewerk (mit Tausenden Beschäftigten) wurde aufgelöst. Arbeitsplätze gingen verloren, junge Menschen zogen fort, und die Demografie verschob sich deutlich – der Geburtenstarke Süden verlor stark an Einwohnern. In Suhl‑Nord blieb der Wandel besonders brutal: Von einst bis zu 14 000 Bewohnern leben heute nur noch wenige Tausend dort.


Der Rückbau: Von der Platte zum Gewerbestandort

Schon seit Anfang der 2000er beschäftigte sich Suhl mit einem Umdenken – weg vom Wohnraum, hin zu einem neuen Nutzungskonzept. Anstelle weiterer Wohnfläche soll das Areal gewerblich, wirtschaftlich und nachhaltig genutzt werden: In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt und der Thüringer Landesentwicklungsgesellschaft soll Suhl‑Nord zu einem CO₂-neutralen Innovationsstandort für Industrie, Forschung und Holzbau werden. Erste Abrisse sind bereits erfolgt, manche verbleibende Fassaden verschwinden Stück für Stück.

Erinnern und Bewahren: Projekte mit Zukunftsvision

Zeitgleich mit dem physischen Wandel entsteht kulturelle Arbeit, die das Erbe Suhl‑Nords bewahrt: Der Verein unofficial.pictures initiierte Workshops, in denen Bürger:innen ihre Erinnerungen, Fotos und Berichte zusammentrugen. Daraus entstand die Zeitungsdokumentation „Suhl‑Nord – Aus unserer Sicht“, mit Berichten über Umzüge, Kindheit, Alltag, aber auch die wachsende Leere. Veranstaltungen wie „Suhl‑Nord – wieder im Gespräch“ luden zum Austausch zwischen Generationen und zur Auseinandersetzung mit der Veränderung ein.


Fazit: Eine Stadt im Wandel – mit Wehmut und Hoffnung

Suhl‑Nord erzählt eine typische Geschichte ostdeutscher Städte im Wandel: vom rasanten Aufbau eines sozialistischen Wohnprojekts über die Zeit der Gemeinschaft und Vitalität bis hin zur Aufgabe als Wohnstandort und der Neumodellierung als Forschungs‑ und Gewerbezone.

Die geplante Transformation bis 2040 bietet Chancen – für Nachhaltigkeit in Industrie, neue Identität und städtische Zukunft. Gleichzeitig bleibt die Frage bestehen: Wie kann das Erinnern erhalten bleiben, wie bleibt Raum für menschliche Geschichten und nicht Verkehrsflächen? Die aktuellen Erinnerungsprojekte sind in dieser Hinsicht ein wertvoller Beitrag – ein Denkmal für das, was war, und ein Brückenschlag in das, was werden soll.


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